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Versorgungswege und ungedeckter Bedarf bei primär biliärer Cholangitis, einer seltenen Autoimmunerkrankung der Leber: ein Interview mit Prof. Singal

Ein Überblick über die primär biliäre Cholangitis (PBC) von Prof. Singal, Professor an der University of South Dakota, Sanford School of Medinice, USA

 

 

Was ist PBC?

Bei einer Autoimmunerkrankung wie PBC greift das Immunsystem körpereigene Gewebestrukturen an. Bei PBC reagiert das Immunsystem auf ein Antigen in einer Population von biliären Epithelzellen (sogenannten Cholangiozyten), die man in den Gallengängen der Leber findet. Die großen und kleinen Gallengänge und die Gallenkanälchen innerhalb der Leber sind also dieser Autoimmunreaktion ausgesetzt und entzünden sich. Die chronische Entzündung führt – wie bei jedem anderen Gewebe – zur Entwicklung einer diffusen Fibrose und im Falle der Leber zur Zirrhose (bei der die Leberzellen geschädigt und durch Narbengewebe ersetzt werden) und anderen Komplikationen.

Welche Symptome und Komplikationen können auftreten?

Wichtig zu bedenken ist, dass eine PBC vollkommen asymptomatisch verlaufen kann. Das einzige Anzeichen der Erkrankung sind dann unter Umständen erhöhte Werte eines Enzyms (eines Proteins) namens alkalische Phosphatase (ALP), das in den Zellen der Gallenwege gebildet wird. Die Zellen der Gallenwege sind sehr empfindlich und reagieren auf Entzündung oder Druck mit einer vermehrten Bildung dieses Enzyms, wodurch der Spiegel im Blut ansteigt.

PBC manifestiert sich meist bei Menschen mittleren Alters (zwischen 40 und 60 Jahren). Überwiegend sind Frauen davon betroffen. Wenn man also eine Patientin in dieser Altersgruppe mit erhöhten ALP-Werten hat, liegt der Verdacht auf PBC als mögliche Diagnose sehr nahe.

Wenn die PBC symptomatisch wird, ist das häufigste Symptom die Fatigue (starke Erschöpfung und Müdigkeit). Auch Juckreiz, fachsprachlich Pruritus genannt, kann auftreten. Dieser tritt auf, wenn eine Entzündung und eine gewisse Narbenbildung in diesen Zellen der Gallenwege vorliegen. Dann kann die Galle (eine klare gelbliche oder orangefarbene Flüssigkeit, die in der Leber gebildet wird) nicht mehr richtig fließen und es kommt zu einer Stauung von Gallensäuren. Diese Gallensäuren reizen die Haut sehr stark, was den Juckreiz verursacht.

Auch Vitaminmangel ist eine wichtige Manifestation, insbesondere ein Mangel an fettlöslichen Vitaminen (Vitamin A, D, E und K), da die Galle bei der Aufnahme dieser Vitamine aus der Nahrung eine wichtige Rolle spielt. Aus klinischer Sicht halte ich Vitamin D für am wichtigsten, da häufig aufgrund geringerer Exposition gegenüber Sonnenlicht ohnehin bereits ein Mangel dieses Vitamins besteht.

Zusätzlich sollte, insbesondere da meist Frauen mittleren Alters betroffen sind, auch an Knochenerkrankungen wie Osteopenie und Osteoporose gedacht werden. Ich rate allen von mir betreuten PBC-Betroffenen zu Knochenszintigrafien, damit wir bei der Behandlung auch ihre Knochengesundheit berücksichtigen können.

Was kann in späteren Stadien der Erkrankung passieren?

Bei weiter fortgeschrittener PBC kann es zur Gelbsucht kommen. Dies tritt aber normalerweise erst in den späten Phasen der Erkrankung auf, insbesondere wenn eine Leberzirrhose vorliegt. (Bei Gelbsucht sind die Haut und das Augenweiß aufgrund eines Anstiegs des Gallenfarbstoffs Bilirubin im Blut gelblich verfärbt.)

Bei jeder Lebererkrankung können sich Varizen entwickeln (stark erweiterte Venen), wenn eine portale Hypertonie (erhöhter Druck in der Pfortader) und Zirrhose vorliegen. Ich möchte aber betonen, dass bei PBC auch ohne Vorliegen einer Zirrhose Varizen entstehen können.

Zu den weiteren möglichen Komplikationen der PBC zählen Zirrhose und die damit einhergehenden Komplikationen: hepatische Enzephalopathie (Funktionsstörung des Gehirns), Aszites (Flüssigkeitsansammlung im Bauchraum), Varizenblutungen und Leberkrebs.

Stehen andere Erkrankungen mit PBC in Zusammenhang?

Menschen mit PBC können weitere Autoimmunerkrankungen aufweisen. Wenn die Autoimmunreaktion beginnt, kann es zu einer Überlappung zwischen PBC und einer Autoimmunhepatitis kommen (einer Form der Leberentzündung, bei der das Immunsystem Hepatozyten (die häufigste Art von Leberzellen) angreift). Ich habe vereinzelt Fälle gesehen, in denen es eine Überlappung zwischen PBC sowie einer anderen Autoimmunerkrankung namens PSC (primär sklerosierende Cholangitis) gab, einer chronischen, fortschreitenden Lebererkrankung. Diese Überlappung ist aber selten.

Die häufigsten Autoimmunerkrankungen außerhalb der Leber, die mit PBC in Verbindung stehen, sind das Sjögren-Syndrom (bei dem Mund und Augen extrem trocken werden) und Hashimoto-Thyreoiditis (bei der die Schilddrüse nicht richtig funktioniert, bekannt als Schilddrüsenunterfunktion).

Wie wird PBC diagnostiziert?

Hinweis auf die Diagnose einer PBC liefert ein „cholestatisches Profil“ mit Werten der alkalischen Phosphatase im Blut, die im Vergleich zu anderen Enzymen relativ hoch sind. Zur Sicherung der Diagnose erfolgt dann ein serologischer Test auf antimitochondriale Antikörper (AMA), Antikörpern gegen die Mitochondrien der Zellen der Gallenwege. Eine Leberbiopsie kann Entzündungen rund um die Gallengänge aufzeigen, im Frühstadium auch als floride Gallengangläsion bezeichnet.

Um die Diagnose stellen zu können, sind nur zwei dieser drei Tests notwendig: erhöhte ALP-Spiegel im cholestatischen Leberprofil, ein positiver Test auf AMA oder eine Biopsie. Wenn jemand also ein vorwiegend cholestatisches Profil und einen positiven AMA-Befund hat, muss keine Biopsie mehr erfolgen, um die Diagnose stellen zu können.

In etwa 10 % der PBC-Fälle (meist Männer) fällt der Test auf AMA negativ aus. In diesen Fällen ist zur Diagnose einer PBC eine Leberbiopsie erforderlich. Eine Leberbiopsie kann aber auch erfolgen, um das Stadium der Erkrankung und den Grad der Fibrosierung einzuschätzen.

Wie wird das Stadium der Erkrankung festgestellt?

Wenn die Diagnose einer PBC gestellt wurde, sollte das Stadium der Erkrankung ermittelt werden, da davon die Prognose abhängt. Dies gelingt am besten mit einer Biopsie der Leber (Untersuchung von aus der Leber entnommenen Gewebeproben), da diese Aufschluss darüber gibt, welcher Grad der Fibrosierung vorliegt. Wenn keine Fibrose vorliegt, ist es Stadium null. Liegt eine minimale Fibrosierung um die Portalfelder vor, ist es Stadium eins. Wenn sich die Fibrose auf Bereiche außerhalb der Portalfelder ausgeweitet hat, ist es Stadium zwei. Kommt es zur Brückenbildung zwischen Portalfeldern und Zentralvenen der Leber, ist es Stadium drei, und ist überall eine Fibrosierung zu erkennen, ist es Stadium vier, was auch als Zirrhose bekannt ist.

Was ist die Erstlinientherapie zur Behandlung von PBC?

Ursodeoxycholsäure (UDCA) ist eine spezifische Therapie zur Behandlung von PBC, die bei den meisten Menschen hilft, Leberschäden zu verhindern oder hinauszuzögern, insbesondere wenn die Behandlung bereits in den frühen Stadien der Erkrankung begonnen wird.1 Studien deuten darauf hin, dass die Behandlung mit UDCA die Überlebenszeit ohne Lebertransplantation verlängert.2 In der Regel innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach Beginn der Behandlung sollte der ALP-Wert – der Marker, den man bei dieser Erkrankung für die Verlaufskontrolle verwendet – sich normalisieren oder zumindest deutlich sinken. Von einem Ansprechen auf die Behandlung mit UDCA kann ausgegangen werden, wenn der ALP-Wert sich nach sechs bis zwölf Monaten der Behandlung normalisiert oder auf weniger als das 1,5-Fache des oberen Normwerts gesunken ist.

Gibt es Zweitlinientherapien?

In manchen Fällen ist UDCA nicht verträglich und führt zu Nebenwirkungen wie Durchfall. Wenn UDCA also aus irgendeinem Grund unverträglich ist oder die Erkrankung nicht innerhalb von sechs bis zwölf Monaten auf UDCA anspricht, sollte eine Zweitlinientherapie begonnen werden.

Wie werden die Symptome und Komplikationen der Erkrankung behandelt?

Bei Symptomen wie Pruritus sind unter Umständen zusätzliche Therapien erforderlich. Wenn der Juckreiz nur sehr leicht ausgeprägt ist, setze ich lokale hautpflegende und feuchtigkeitsspendende Produkte ein. Bei starkem Juckreiz ist allerdings Colestyramin das Medikament der Wahl. Es bindet die Gallensäuren im Darm, sodass die Menge an Gallensäure im Blutkreislauf sinkt und der Juckreiz gelindert wird.

Wichtig hervorzuheben ist, dass Menschen mit PBC ausreichend Vitamin D und Calcium zu sich nehmen sollten. Wenn ausgehend von der Knochenszintigrafie ein erhöhtes Risiko für Osteopenie oder Osteoporose besteht, sollten sie entsprechend behandelt werden. Zudem sollte alle ein bis zwei Jahre der TSH-Wert (Thyroidea (Schilddrüse) stimulierendes Hormon) kontrolliert werden. Liegt eine Unterfunktion der Schilddrüse vor, muss diese behandelt werden. Wenn Symptome des Sjögren-Syndroms oder einer anderen oft mit PBC einhergehenden Autoimmunerkrankung vorliegen, sollten diese entsprechend behandelt werden.

Wenn eine Zirrhose vorliegt, sollten deren Komplikationen behandelt werden. Außerdem sollte alle drei bis sechs Monate eine fachärztliche Verlaufskontrolle erfolgen.

 

Welchen ungedeckten Bedarf gibt es bei PBC?

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Ergebnisse des Tests auf AMA anzugeben. Eine Möglichkeit ist die Angabe, ob sie positiv oder negativ in Kombination mit den AMA-Spiegeln sind. Die zweite Möglichkeit – eine bessere Möglichkeit – stellt die Angabe von Titern (Konzentrationen) dar. Viele Labors geben aber nur die Spiegel an, die keine diagnostische Relevanz haben, sofern der AMA-Spiegel nicht wirklich hoch ist und der Test dadurch positiv ausfällt.

Das zweite unerfüllte Bedürfnis ist, dass es sieben oder acht mitochondriale Antigene gibt, von denen aber nur eines davon durch die Autoimmunreaktion bei PBC angegriffen wird. Der Test, den wir verwenden, ist aber nicht spezifisch für dieses eine Antigen. Daher kann es zu falsch positiven Befunden und Fehldiagnosen einer PBC kommen, wenn man eigentlich weiter nach anderen Erkrankungen suchen sollte.

Ein weiterer Bereich mit ungedecktem Bedarf ist meiner Ansicht nach das nichtinvasive Testen. Man kann nicht bei jedem Betroffenen eine Biopsie durchführen, da dies invasiv und kostspielig ist. Daher brauchen wir einen nichtinvasiven Test. Nichtinvasive Tests – serologische Tests und radiologische Untersuchungen (wie FibroScan oder MR-Elastographie) – sind für die Fettlebererkrankung (eine Erkrankung mit übermäßiger Fettansammlung in der Leber) sehr weit entwickelt. Wir benötigen jedoch mehr Daten zur PBC-Population, um besser nachvollziehen zu können, wo bei der Auswertung dieser Tests die Grenzen zwischen Fibrose und Zirrhose liegen.

Ungedeckten Bedarf gibt es meiner Meinung nach auch in Bezug auf Prognosemodelle. Wir haben hervorragende Modelle aus Großbritannien und den USA, die anhand der Laborergebnisse und Patientenprofile Aufschluss über die Prognose geben (den wahrscheinlichen Verlauf und die Folgen der Erkrankung). Damit kann ich Aussagen treffen wie: „Wenn Sie dieses Medikament nehmen, erhöht dies auf jeden Fall Ihre Überlebenschance und die Wahrscheinlichkeit, dass Sie kein Stadium erreichen, in dem Sie eine Transplantation benötigen.“ Es gibt jedoch Fälle, in denen im weiteren Verlauf der PBC eine Zirrhose entsteht – trotz Behandlung. Meiner Ansicht nach brauchen wir dafür ein Modell, damit wir sagen können: „Okay, das ist Ihr Risiko, im Laufe der Zeit trotz Medikamenten eine Zirrhose zu entwickeln.“

Haben Sie noch irgendwelche abschließenden Anmerkungen für unsere Leserschaft?

Ich denke, PBC ist eine Erkrankung, bei der wir relativ gute Fortschritte erzielt haben. Uns stehen spezifische Medikamente zur Verfügung, wir wissen, wie wir Menschen behandeln können, die auf die Erstlinientherapie nicht ansprechen, und wir wissen, wie Komplikationen zu behandeln sind. In den letzten zwanzig Jahren ist die Anzahl der bei dieser Erkrankung notwendigen Lebertransplantationen deutlich gesunken.

Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens: Wir diagnostizieren diese Erkrankung frühzeitiger. Vor zwanzig oder dreißig Jahren haben Ärzte in der Primärversorgung noch nicht routinemäßig Untersuchungen der Leberwerte angeordnet. Heute sieht das anders aus. Daher werden mehr Menschen erkannt, die zwar keine Symptome, aber erhöhte ALP-Werte aufweisen. Dann werden die Befunde an einen Hepatologen geschickt, der auf AMA testen und die Diagnose stellen kann. Zweitens: Wir haben wirksame Medikamente. Mit diesen Medikamenten können die Betroffenen ihr Leben leben, ohne dass sie eine Transplantation benötigen oder eine Zirrhose entwickeln.

Literatur

[1] Primary biliary cholangitis – Treatment. nhs.uk. Veröffentlicht am 30. November 2017. Abgerufen am 26. April 2023. https://nhs.uk/conditions/primary-biliary-cholangitis-pbc/treatment/
[2] Harms MH, van Buuren HR, Corpechot C, et al. Ursodeoxycholic acid therapy and liver transplant-free survival in patients with primary biliary cholangitis. J Hepatol. 2019;71(2):357-365. doi:10.1016/j.jhep.2019.04.001

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Haftungsausschluss: Die medizinischen Informationen in diesem Artikel stellen keine medizinische Beratung dar. Sie dürfen NICHT als Mittel zum Verständnis oder zur Beurteilung potenzieller Optionen für Diagnose und Behandlung verwendet werden. Betroffene müssen einen Arzt aufsuchen, um eine medizinische Beratung, Diagnose und Behandlung zu erhalten, die ihren spezifischen und individuellen Umständen entspricht. Dieser Artikel beinhaltet nicht alle Informationen über die Erkrankung, Behandlungsmöglichkeiten, Medikamente, Nebenwirkungen und Risiken, die für individuelle Patientinnen und Patienten gelten. Betroffene müssen sich in Bezug auf Informationen zu diesen Aspekten an eine medizinische Fachkraft wenden. Diese Informationen stellen keine Befürwortung von Therapien oder Medikamenten als sicher, wirksam oder zugelassen zur Behandlung spezifischer Patientinnen und Patienten dar.

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